Die Tage wurden zur Routine. 4:00 Uhr aufstehen, Kung Fu lernen von 4:30 – 6:30 Uhr, mit schweren Beinen zum Hotel, hinlegen, verarbeiten des Erlernten, irgendwann frühstücken, wieder hinlegen, dann das Erlernte üben im kleinen Hotelzimmer, Sightseeing zu Fuß oder das Abenteuer auf sich nehmen, mit einem Bus zu fahren, man wußte eigentlich so gut wie nie, wo man hinfuhr. Gut, dass ich eine Visitenkarte des Hotels hatte, so war der Rückweg immer gesichert. Oft mußte ich ein Taxi nehmen, damit ich wieder zurückkam denn wer kannte schon Hotels eines anderen Bezirkes in Beijing. Die Taxis waren günstig im Vergleich zu Deutschland. Oft erklärte ich mit lustigen Gesten dem Fahrer das ich einen Teil meiner Reise auch durch Taxi fahren finanziert hatte. Erntete meist ein Kopfschütteln an Unverständnis was ich wiederum verstand. Denn als es an das Bezahlen der Fahrt ging kam ich nie über 2,50 DM bei Fahrten von ca. 30 Minuten. Diese Summe wurde schon beim einschalten auf dem Taxometer in Deutschland angezeigt ohne das sich das Taxi einen Meter bewegt hatte. Auf alle Fälle glaubten die meisten Fahrer mir nicht das man mit dem Taxifahren sich irgendwann eine Reise diesen Ausmaßes leisten konnte. Überhaupt war das studieren in Deutschland echt locker man konnte jobben ohne Nachweise an Krankenversicherung oder steuerliche Anmeldung nur der Studiennachweis war nötig. Der Service in Restaurants, Kneipen und eben auch Taxifahren war viel durch Studenten besetzt die ihr monatlichen Einahmen aufbesserten.

Die verbotene Stadt war überwältigend, ich konnte garnicht alles sehen und verarbeiten, obwohl ich drei Tage hintereinander dort war. Verbotene Stadt welch ein Name dachte ich, später wurde mir klar das keiner dieses Areal betreten durfte ohne Einladung deswegen für die meisten Menschen verboten war. Wow eine kaiserliche Stadt in der Stadt. Welch ein Glück ging mir durch den Kopf das einige aus kommunistischen Kaderriege sich dafür einsetzten sie stehen zu lassen und die „Verbotene Stadt“ nicht den marodierenden Soldaten der Volksarmee zu überlassen.
Die Erklärungen, Geschichten und Geschichte über diese atemberaubenden Kaiserstadt, welche durch den von mir gemieteten Kopfhörer kamen, waren in English gesprochen. Die Stimme von dem Schauspieler Peter Ustinov begrüßte mich herzlich und die Wärme dieser plumpen Kopfhörer wurden von meinen roten Ohren gerne angenommen. Ich erfuhr vom Schauspieler, dass die verwendete rote Farbe der Tore und Säulen hauptsächlich aus Schweineblut bestand und dass damals die Farbe Gelb nur dem Drachenkaiser und seiner Familie erlaubt waren zu tragen. Dass der Kaiser nie die hohen Treppen aufstieg, sondern immer in einer art Sänfte getragen wurde. Das mit der Sänfte, überlegte ich mir, wäre für den Zustand meiner Beine jetzt auch eine tolle Sache. Doch das war natürlich keine Option für mich als unkaiserliche Langnase. So beschloss ich, das Auf und Ab gehen auf den Treppen, und es gab sehr viele davon in der Verbotenen Stadt, als Kung-Fu -Nachmittagstraining zu sehen. Auch war dadurch die eisige Kälte an diesem Tag ganz gut auszuhalten.
Der Glanz der vergangenen Hochzeit chinesischer Kultur, die ich dort sah war wirklich in dieser Zeit ein extremes Kontrastprogramm zu der chinesischen Realität des gelebten Kommunismus, die ich dort tagtäglich erlebte. Die Eintönigkeit der Farben Blau, Grün und Schwarz, welche in dieser Zeit überwogen auf Pekings Straßen, ließen einem die Farbvielfalt im Kaiserpalast noch herrlicher wahrnehmen. Die Augen wollten gar nicht von der Farbpracht ablassen, denn man wußte, außerhalb von hier begann wieder die Tristesse der Eintönigkeit, verstärkt durch den schmuddelgrauen Schnee, der sich zuhauf entlang der Straßen zusammengeschaufelt auftat. Also genoss ich Rot, Gelb, Jadegrün, Perlweiß, Königsblau, das sich mir förmlich wie eine freudebringende Ode und Symphonie entgegenschlug. Ja, da waren wohl große Meister am Werk. Viel später erst kam ich in Kontakt zum Feng Shui, da wurde mir noch einmal bewußt, dass dieser Palast deswegen so überwältigend auf mich gewirkt hatte. Es waren nicht nur die Farben, es waren auch die perfekten Formen und auch die Himmels-Ausrichtungen der Gebäude. Eben ein Gesamtwerk meisterlichen Feng Shui, man spürte es, aber hatte nicht so eine richtige Erklärung für diese vielschichtige Harmonie, die plötzlich auf einen wirkte.
Der Bus, der mich in die Nähe meines Hotels brachte, war mal wieder mal ohne Heizung, aber es waren auch wie immer genügend Menschen zusammengedrängt, dass sich so etwas wie Wärme verbreitete. Es sei denn, man bekam nur einen Stehplatz in Türnähe, wo die Minusgrade bei jeder Türöffnung nur warteten, einen wieder erkalten zu lassen. Wie üblich starrten wieder viele Augenpaare auf mich, aber dem begegnete ich immer mehr mit innerer Gelassenheit. Die letzten Kilometer zu meinem Hotel ging ich wieder zu Fuß und bemerkte, mein Körper hatte sich langsam auf die Minus 25 Grad gut eingestellt. Denn diese Temperatur war nichts im Vergleich zu den am Morgen gegen 4:00 Uhr herrschenden. Mein Stammrestaurant hatte noch Licht und ich beschloss noch einmal, mir eine warme Mahlzeit zu gönnen. Als ich eintrat, fiel mir ein 40 cm großer Weihnachtsbaum aus Plastik auf, der mit bunten Lichtern geschmückt war, welche in einem nicht erfassbaren Rhythmus nervös flackerten. Der Wirt sah mich und zog mich zum Weihnachtsbaum und stammelte so etwas wie Chrixmax, zeigte auf mich und dann wieder auf den Baum und freute sich sehr. Seinen Gesten entnahm ich, dass er das für mich hingestellt hatte, denn es war kurz vor Weihnachten. Ich war für ihn so etwas wie gute Werbung, denn seitdem ich dort Stammgast war, kamen immer mehr Gäste, denn so einen fremden Teufel sah man in diesen Tage nicht so oft. Fertig gegessen machte ich mich auf den Weg zurück zum nahe gelegenen Hotel, nicht ohne mich von den mir zuwinkenden und alle in Arbeiterblau gekleideten Gästen kopfnickend zu verabschieden. Auf der Straße schaute ich noch einmal zurück, konnte aber hinter den milchigweiß beschlagenen Scheiben nur die flackernden bunten Kerzen des Weihnachtsbaums erkennen. Den Kragen zuknöpfend, blickte ich auf der fast menschenleeren Straße hoch und sah in der Nacht die beleuchteten roten chinesischen Schriftzeichen meines Hotels. Mittlerweile wußte ich, was sie bedeuteten – Jasmin Hotel. Dort angekommen, gab es die nächste freudige Überraschung. Der Lift war nach vier Tagen wieder funktionsfähig. Etwas skeptisch drückte ich auf den Knopf dritter Stock und kam dort auch ohne Probleme an.


